Interview mit Anne Tornow

Interview Anne Tornow– mit der fibz: 

Evolutionspädagogik – was ist das?

 

Interview mit Anne Tornow - Presse Familienmagazin_09_2014
fibz: Was ist Evolutionspädagogik?

Die aktuelle Lern- und Gehirnforschung liefert stets neue Beweise, dass die Gehirn- und Bewegungsentwicklung in der frühkindlichen Phase in engem Zusammenhang mit Lernfähigkeit, Verhaltensbandbreite und sozialer Kompetenz steht. Auf diesem Wissen basiert die 1990 in München entwickelte Evolutionspädagogik. Sie arbeitet mit einem Gehirnstufenmodell mit sieben Entwicklungs- und Kompetenzstufen. Im Laufe unserer frühkindlichen Entwicklung spielen wir die Evolution im Kleinen noch einmal durch: über die liegende, kriechende, krabbelnde Bewegung bis hin zum aufrechten Gang, zur Sprachfähigkeit und zu sozialer Kompetenz.

 

fibz: Wie funktioniert sie?

Lern- u. Verhaltensprobleme äußern sich im Gehirn als Kommunikationsstörungen zwischen den jeweils geforderten Gehirnbereichen. Eltern, Erzieher und Lehrer kennen Situationen, in denen Kinder mittels rationaler Ansprache nicht mehr erreicht werden. Auch bei Lernproblemen wirken Schüler oft wie blockiert. Bei sogenannten Teilleistungsschwächen wie LRS und Dyskalkulie, aber auch bei Konzentrationsproblemen stelle ich immer wieder fest, dass einfache Koordinationsbewegungen aus der Evolutionspädagogik nur mit Mühe oder zunächst gar nicht ausgeführt werden können. Ursache dafür kann eine besondere Gehirnorganisation und damit verbundene Stressanfälligkeit sein; aber auch in der Kindheit als traumatisch erlebte Situationen sowie ausgelassene Bewegungsabfolgen, z.B. eine extrem kurze Krabbelphase. Hier setzt die Evolutionspädagogik an: Spezielle Bewegungs-, Koordinations- u. Entspannungsübungen erreichen den Klienten auf der Gehirnentwicklungsstufe, auf der er blockiert ist. Durch individuell zugeschnittene Übungen wird die Blockade aufgelöst und die Verbindung zwischen den betreffenden Gehirnbereichen trainiert und optimiert. Der entscheidende Vorteil gegenüber vielen pädagogischen und lerntherapeutischen Ansätzen: Er ist ganzheitlich und hilft auch dort, wo Lernmethodik und Didaktik nicht greifen. Es macht immer wieder Freude zu erleben, wie eine zunehmende Sicherheit in der Ausführung der evolutionspädagogischen Übungen das Lernen erleichtert und oft zu überraschenden schulischen Erfolgserlebnissen führt.

 

fibz: Funktioniert die Methode auch bei Erwachsenen?

Ja, ich setze sie auch als spezifische Coachingmethode bei Erwachsenen ein. Für die Persönlichkeitsentwicklung, zur Unterstützung in Veränderungsprozessen und in der Konfliktberatung. In Crashsitzungen vor Auftritten oder wichtigen Terminen, bei Nervosität, Blackout oder Lampenfieber.

 

fibz: Wie lange dauert eine Sitzung?

Etwa 50 Minuten. Bei leichteren Blockaden oder einer kurzfristigen Vorbereitung, z.B. bei Prüfungsnervosität oder Lampenfieber reichen 3-5 Sitzungen oft aus, um deutliche Besserungen zu erleben. Bei massiven Lernproblemen u. Verhaltensauffälligkeiten wie Tics oder AD(H)S sind 10-15 Sitzungen sinnvoll.

 

fibz: Vielen Dank!

 

Schulreif – ja oder nein?

Aus einem Kompetenzprofil: Schulreif – ja oder nein?

Frau M. besuchte mit ihrer Tochter Pauline meine Praxis, um zu klären, ob sie schulreif sei. Die Einschulung stand unmittelbar bevor. Sie fragte sich, wie sich die schüchterne Pauline wohl in einer 1. Klasse fühlen würde? Wo ihre Tochter doch noch so schüchtern gegenüber neuen Situationen und fremden Personen sei. Und ob die Schulreife irgendwie zu fördern sei.

Sprachsicherheit kann sich in aller Stille entwickeln

Pauline ist eine stille Beobachterin. Sie lässt sich Zeit, bis sie aus sich herausgeht. Bei ihrem ersten Besuch beobachtet sie mit ihren großen dunklen Augen den Raum, ihre Mutter und mich. Ich dränge sie nicht, sondern vertraue darauf, dass sie aus sich herauskommt. Das passiert dann auch ganz fix: nachdem der wortlose Kontakt erst einmal aufgebaut ist, kommt intensive Spielfreude auf. Gewürzt und bereichert mit Paulines eigenen kreativen Ideen, wie eine Übung sich variieren und nochmals variieren lässt. Ihre Ideen zeigt sie in den folgenden Sitzungen gerne, das ganze jedoch in völliger Stille. Pauline lächelt und lacht und spielt freudig, spricht aber nicht.

Eines wird direkt deutlich: Für Pauline ist es wichtig, ihre Selbstsicherheit und Souveränität in einer Gruppe, die sie bereits kennt, weiterhin aufzubauen und zu festigen. Um in Folge auch Sprachsicherheit entwicklen zu können und sich den anderen sprachlich mitzuteilen.

Festlegung der Händigkeit und räumliches Vorstellungsvermögen

Ihre Händigkeit ist noch nicht festgelegt. Ihr ist noch nicht klar, wo links und wo rechts ist. Die Visualisierungskraft und das räumliche Vorstellungsvermögen sind noch am Beginn der Entwicklung. Dies kann in der ersten Klasse zu unnötigen Problemen führen.

Festigung der Grundsicherheiten als Basis für die Schulreife

Der Besuch der ersten Klasse stellt für viele Kinder eine Herausforderung dar. Vor allem, was das soziale Miteinander angeht. In einer Klasse von 25-30 Kindern seinen Platz zu finden und sich Gehör zu verschaffen, ist Arbeit!

Damit der Start in die Schule für Pauline ein schönes Erlebnis wird, ist es ratsam, ihr noch eine wenig Zeit zu geben. Ihre Schulreife mit den entsprechenden Spielen zu fördern: Nämlich die Grundsicherheiten zu stärken – wie Urvertrauen, Erlebnissicherheit, Körper- und Gefühlssicherheit, Sicherheit in der Gruppe und schließlich die Sprachsicherheit. 

Von einer Einschulung im kommenden Jahr rate ich deshalb ab. Ich halte es für sinnvoll, Pauline noch ein Jahr zur Festigung ihrer Grundsicherheiten zu geben und schulreif zu werden.

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Dyskalkulie

Da muss doch etwas dahinter liegen, was ihm hilft.“

„Das kann es doch nicht gewesen sein! „

Mit diesen Worten kam die Mutter mit ihrem 7 1/2 -jährigen Sohn K in meine Praxis. An einem Institut war ihm Dyskalkulie diagnostiziert worden. Die institutseigene Therapie und die Lernerfolge in der parallel dazu laufenden Mathenachhilfe stagnierten nach Einschätzung der Mutter.

 

K, der stille Beobachter

In der ersten gemeinsamen Stunde fiel auf, dass einfache Übungen aus den Evolutionsstufen K größte Schwierigkeiten bereiteten. Auch einfache Koordinationsübungen und Überkreuzbewegungen fielen ihm schwer und es stellte sich im Gespräch heraus, dass K. schon bei der Krankengymnastik immer Angst vor den Überkreuzbewegungen gehabt hatte. Diese legen jedoch physisch und in der frühkindlichen Gehirnentwicklung die Basis fürs Schreiben und Rechnen. In der Evolutionspädagogik ist das die 4. Gehirnentwicklungsstufe. Auf meine Frage, ob K als Kleinkind gekrabbelt sei, erzählt die Mutter, dass er sich sitzend und auf dem Boden rutschend fortbewegt hatte und nie gekrabbelt sei. Er sei in der Familie der große Beobachter, der still das Familiengeschehen betrachte.

 

Blockiert durch den hohen Anspruch an sich selbst

K erschien mit seinen 7 Jahren sehr ernst und man konnte spüren, wieviele Gedanken sich hinter seiner Kinderstirn stauten. Seine Fähigkeiten mit denen seiner wesentlich älteren Geschwister vergleichend, hatte er an sich selbst einen sehr hohen Anspruch entwickelt mit dem er sich selbst blockierte. Und dann auch noch Rechenprobleme in einer Familie, wo es so etwas vorher nicht gab. Aus K’s Perspektive alles äußert verwirrend. Kein Wunder also, wenn sich K häufig in den Rückzug begab, um erst einmal alles genau zu beobachten und lieber nicht selbst aktiv zu werden. Der Urimpuls fürs Lernen ist jedoch die Neugierde. Diese galt es zu fördern, und zwar nicht über kreative Angebote aus der Vernunftebene, sondern durch die Arbeit an einer unteren Wahrnehmungsstufe, die im unbewussten, also physischen Bereich ansetzt. Am Ende der Sitzung schenkte mir K ein kleines, für mich unvergessliches Lächeln.

 

Eroberung des Zahlenraums 

In Folge festigten wir diese und einige weiterführende Stufen. K hat inzwischen eine Vorstellung vom Zahlenraum bis 30 und kann einfache Aufgaben ohne Zuhilfenahme der Finger rechnen.

Bericht von Lern-Kompass

 

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